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AutorenbildChristine Nöh

Tiefe Wurzeln


Ich hatte mein ganzes Leben viele Probleme und Sorgen.

Die meisten von ihnen sind aber niemals eingetreten.

Mark Twain


Gestern habe ich 2 Päckchen zur Post gebracht. Da immer sehr viel los ist, wollte ich sie am liebsten in den Briefkasten werfen, denn sie waren ja schon frankiert. Eines davon passte aber nicht durch den Briefschlitz und plötzlich kam der Gedanke auf, ich hätte vielleicht darauf nicht die richtige Marke.


Nun musste ich mich anstellen und während ich wartete wurde mir heiß und kalt, weil ich dachte ich hätte etwas falsch gemacht. Ich stand da und hab mich über mich selbst gewundert. Denn es ist ja nicht schlimm, wenn das Päckchen falsch frankiert wäre, dann müsste ich eben noch etwas nachbezahlen. Ich konnte mich selbst nicht verstehen, dass mir so eine Kleinigkeit so Angst machen konnte.


Endlich war ich an der Reihe. Der Postangestellte nahm anstandslos die beiden Päckchen von mir in Empfang und legte sie direkt in einen Wagen. Ich blieb noch einen Moment unschlüssig stehen, weil ich dachte, er sagt gleich, dass etwas nicht stimmt. Aber alles war richtig und gut. Meine "Angst" war völlig unbegründet und überflüssig gewesen.


Ich habe dann noch lange darüber nachgedacht, woher meine Angst etwas falsch zu machen kommt. Da hatte ich eine Situation vor Augen als ich 5 Jahre alt war. Ich war im Kindergarten neu in die Gruppe der Vorschule gekommen und wir hatten 2 mal in der Woche eine Extra Stunde nur für Vorschüler. Ich bin aufgewacht und habe gemerkt, dass ich verschlafen hatte und meine Mama hatte es tatsächlich vergessen, dass ich früher in den Kindergarten muss. Warum ich wusste, dass ich zu spät war, weiss ich nicht, aber es war tatsächlich so.


Schnell hatte meine Mama alles fertig gemacht und ist mit mir in den Kindergarten gegangen, denn alleine hätte ich mich niemals mehr dort hin getraut, da ich ja wusste dass ich zu spät war. Wenn es nach mir damals gegangen wäre, hätte ich das Haus nie wieder verlassen, weil ich dieses eine mal verschlafen hatte.


Ich weiss noch genau, wie alle anderen Kindern um die Tische saßen und ihre Schuhschachteln bemalt haben und wie peinlich es mir war, zu spät zu sein. Ich habe es aber auch wie alle anderen geschafft, meine Kiste zu bemalen und eigentlich war alles gut. Nie wieder hat ein Mensch zu mir gesagt, dass ich damals doch zu spät gekommen bin, aber ich selbst habe es auch nie vergessen...


Noch heute weiss ich, dass ich orange Punkte auf der Kiste hatte und alles drumrum dunkelblau gemalt hatte und dann hatten wir mit einem Kamm darüber ein Wellenmuster gezogen. Die Kiste ist längst auf irgendeiner Müllkippe verrottet, meine Erinnerung ist aber noch so lebendig, als wäre es gestern gewesen.


Als Erwachsener kann man heute darüber lachen, aber ich merke, dass die Angst etwas falsch zu machen ganz tief in mir drin steckt. Meistens habe ich genug Verstand um darüber hinweg zu gehen. Aber gestern auf der Post habe ich gemerkt, dass sie immer noch da ist. In so einer banalen Situation Angst zu bekommen, wegen so etwas lächerlichem wie dem Porto ist unerklärlich.


Es ist aber eher die Grundangst etwas Falsch zu machen. Vielleicht muss ich ganz neu und vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben richtig lernen, dass ich Fehler machen darf. Vielleicht steckt diese Angst vor Fehlern tief in meinem Inneren wie so ein kleiner Drache, der Feuer speit, wenn etwas falsch sein könnte, so dass mir ganz heiss wird.


Diesem Drachen will ich ins Gesicht sehen und sagen, dass es okay ist, wenn man mal was falsch macht und dass man nicht immer Feuer spucken muss. Ich stelle mir vor, wie es sagt, er versuche daran zu denken und dann macht er noch ein ganz kleines bisschen Qualm, einfach so.


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