Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopfe,
in die sich manche Bilder so tief und deutlich einätzen,
während andere keine Spur zurücklassen.
Bertha von Suttner
Heute Nacht habe ich mich plötzlich an eine Sommerfreundschaft erinnert, die ich mit 18 Jahren hatte. Der Mann war 10 Jahre älter, ein reisender Musiker aus den USA und sein ungezwungener Lebensstil haben mich ebenso wie seine Musik fasziniert. Wir kamen uns schnell näher und ich war glücklich, dass sich so jemand besonderes für mich interessierte. Ich habe mich heute Nacht gefragt, wo und wie ich heute leben würde, wenn ich mich damals anders entschieden hätte.
Er wollte gerne, dass ich mit ihm mitkomme, durch Europa und Südamerika reise und dass wir immer zusammen bleiben. Ich habe ihn meinen Eltern vorgestellt und mein Vater hat sich lange mit ihm unterhalten, wobei ich ja alles übersetzen musste. Am Ende des Abends meinte dann mein Vater zu mir, dass man bei einem Pferdegespann immer darauf achten muss, dass beide gleich stark sind. Wenn einer viel stärker ist als der andere, dann funktioniert es nicht und der starke bestimmt immer wo es langgeht.
Damit meinte mein Vater nicht, dass ich eine schwache Persönlichkeit wäre, aber dass ich eben noch nicht so viel Lebenserfahrung habe und daher immer dem anderen folgen würde, ohne selbst zu wissen, wo ich hin möchte. Hätten meine Eltern geschimpft, mir das verboten oder sonst einen Aufstand gemacht, dann wäre ich vielleicht mit diesem Mann mitgegangen. So habe ich es mir gut überlegt und gemerkt, dass mein Vater recht hatte.
Ich hätte die Schule hingeschmissen, keinen Beruf gehabt und wäre immer von dem Mann abhängig gewesen, nur weil ich ihn einen Sommer lang toll fand. Das klingt vielleicht romantisch, wenn man alles für die große Liebe aufgibt und gemeinsam durch die Welt reist... aber ich denke die Wirklichkeit wäre alles andere als romantisch geworden.
Als ich ihm sagte, dass ich nicht mitkomme, habe ich nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen, so scheint seine große Liebe auch nicht so gewaltig gewesen zu sein. Eines bin ich mir aber sicher, dass meine Entscheidung damals die richtige war.
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